11.09.2012

Hinkel fügt sich dem Zeitgeist

Stuttgarter Nachrichten

Mit 30 Jahren startet mancher Fußball- profi noch mal durch. Andreas Hinkel hört mit 30 auf. 'Ich bin mit mir im Reinen', sagt der Ex-Nationalspieler des VfB – doch es ist nur die halbe Wahrheit.

Stuttgart Sein Alltag beginnt kaum später als bisher. Statt ins Training zu fahren, bringt Andreas Hinkel nun seine Tochter Amelie (3) morgens in den Kindergarten. Danach fährt er heim zu seiner Frau Simone und Söhnchen Samuel (bald 2). Mehr denn je ist Hinkel ein Familienmensch. Das war ein Grund dafür, dass er sich ein letztes Abenteuer in seiner Karriere versagt hat. Wo sich andere Fußballer in China oder Dubai die Taschen füllen, bevor sie sich aufs Altenteil zurückziehen, zieht er die Idylle in Freiburg vor. Angebote aus den USA und Dänemark hat er abgelehnt: 'Das war gut überlegt.'

Hinkel hat seine Karriere Revue passieren lassen: 256 Erstliga-Einsätze in Europa, 21 Länderspiele, sieben Titel, darunter deutscher B-Jugend-Meister 1999 mit dem VfB Stuttgart, bei dem er als einer der jungen Wilden 2001 Profi wurde; Uefa-Cup-Sieger 2006 und spanischer Pokalsieger 2007 mit dem FC Sevilla; schottischer Meister 2008 und Pokalsieger 2011 mit Celtic Glasgow. 'Ich habe mit 18 angefangen, hatte zwölf gute Jahre und habe mit drei Clubs international gespielt, das ist doch was', sagt Hinkel. 2010 erlitt er einen Kreuzbandriss, beim SC Freiburg kam der Verteidiger nicht mehr auf die Beine. 'Mein Ziel war es immer, um Titel zu spielen', sagt er. Die Verletzung raubte ihm diese Perspektive. Nun zieht Hinkel die Konsequenz – und fügt sich dem Zeitgeist.

Zwar behauptet er: 'Ich habe keine Wehmut.' Andererseits hat er zuletzt gespürt: Routiniers sind nicht mehr so gefragt wie früher. 'In meinem Alter bekommt man keine langfristigen Verträge mehr. Mit 30 Jahren gehört man zum alten Eisen', sagt Hinkel und nimmt den Jugendwahn aufs Korn, der im deutschen Fußball 'extremer als anderswo' sei. Die Nachwuchsleistungszentren hätten die Bundesliga stark professionalisiert, was positiv sei. Aber mit dem unablässigen Streben nach immer noch jüngeren Talenten schade sie sich ebenso wie die Nationalmannschaft. 'Ich habe Zweifel, ob man international mit den vielen Jungen Titel gewinnen kann', sagt Hinkel. Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach und deren dürftige Champions-League-Auftritte fallen ihm da ein – und das verlorene EM-Halbfinale gegen Italien. Da waren Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger (beide 28) die ältesten deutschen Spieler. 'In Italiens Kader wären sie die Dritt- und Viertjüngsten gewesen', sagt Hinkel und nennt auch die erfahrenen Spanier Xavi (32), Xabi Alonso (30), Andres Iniesta (28) und Iker Casillas (31). 'Sie sind das Herzstück und geben den Takt an.' Der Erfolg gibt ihnen recht – und indirekt auch Hinkel: 'Es kann kein Zufall sein, dass die deutsche Mannschaft immer an den gleichen Punkten scheitert und der große Schritt misslingt. Und jeder Bundesligist hat angeblich die Mannschaft der Zukunft. Aber ich finde, die richtige Mischung macht den Erfolg aus.'

Womöglich kann er diese Mischung aus anderer Perspektive bald selbst steuern. Hinkel macht in Ruit die Trainer-B-Lizenz, er will auch ins Management schnuppern und die Seite des Spielerberaters kennenlernen: 'Ich schaue einfach, was mich so erfüllen könnte wie der Fußball.'

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