24.02.2012

„Der VfB ist unberechenbar“

Stuttgarter Nachrichten

Erstmals seit der E-Jugend trifft Andreas Hinkel wieder auf die Roten – SC Freiburg braucht Sieg im Kampf gegen den Abstieg

Einst war er ein Junger Wilder beim VfB. Nun hat es Andreas Hinkel schwer, sich gegen die Talente des SC Freiburg zu behaupten. Doch er gibt sich kämpferisch: „Ich bin noch lange nicht zu alt für die Bundesliga.“ Am Samstag hofft er auf Punkte gegen seinen Ex-Club.

Herr Hinkel, Sie haben 14 Jahre für den VfB gespielt. An diesem Samstag treten Sie zum ersten Mal gegen die Roten an. Das stimmt nicht ganz. Ich habe in der Jugend schon mal gegen den VfB gespielt.

Sie sind doch aber schon in der D-Jugend auf den Wasen gewechselt. Da sehen Sie mal, wie lange das her ist. Es muss in der E-Jugend gewesen sein.

Es wird also ein besonderes Gefühl sein. Ja, das glaube ich auch. Ich versuche gar nicht erst zu sagen, dass mich das alles völlig kalt lässt. Es wird ein besonderes Spiel.

Das Sie zunächst wohl auf der Bank verfolgen werden. Zuletzt gehörten Sie nicht mehr zur Startformation des SC Freiburg. Das stimmt, und deswegen bin ich auch enttäuscht, denn ich würde lieber spielen. Ich kann mit der Situation aber umgehen und versuche, mich dennoch einzubringen.

Inwiefern? Ich bin einer der wenigen erfahrenen Spieler in Freiburg. Also versuche ich, die jungen Spieler zu unterstützen, so wie mich früher Zvonimir Soldo, Krassimir Balakov oder Silvio Meißner unterstützt haben. Taktisch sind unsere Jungs zwar alle sehr gut ausgebildet, zwischen Jugendfußball und Bundesliga gibt es dennoch Unterschiede, da geht es um die letzten Details – das habe ich auch einst erfahren müssen.

Also helfen Sie auch Ihrem direkten Konkurrenten Oliver Sorg? Ja, aber nicht nur ihm, ich mache das generell.

Wo hört die Unterstützung auf, und wo fängt der Konkurrenzkampf an? Sie geben sich mit der Rolle des Helfers ja nicht zufrieden, oder? Natürlich nicht. Es geht tagtäglich auch um die Plätze in der Startformation. Ich unterstütze, klar, aber vor allem mache ich Druck durch meine Leistung im Training. Nur so wird man auch als Team stärker, das habe ich ganz extrem beim FC Sevilla erlebt.

Erzählen Sie. Da waren wir 22 Spieler auf Topniveau, mein Konkurrent war Dani Alves, der heute beim FC Barcelona spielt  – und dennoch bin ich auf meine Einsätze gekommen. Da haben sich alle gegenseitig hochgepusht. Nur so kann man erfolgreich sein. Wenn nämlich ein Spieler keine Konkurrenz hat, dann geht die Leistung ein paar Prozent runter – und das kann in der Bundesliga schon entscheidend sein.

Der neue Trainer Christian Streich setzt stark auf die jungen Spieler. Sind Sie da von vorneherein chancenlos? Nein. Der Trainer hat am Anfang klar gesagt, es sei ihm egal, ob einer 18 oder 28 ist. Ich bin 29, da hieß es früher: Das ist das beste Fußballalter.

Jetzt gilt man fast schon als zu alt. Die Altersschnitte der Bundesligamannschaften sind nach unten gegangen, das stimmt. Und womöglich werden die Karrieren in Zukunft auch kürzer. Ich aber fühle mich noch lange nicht zu alt für die Bundesliga, nach der langen Pause ist meine Kraft zurück, und ich mache es dem Trainer schwer.

Der Trainerwirkt irgendwie anders als andere Bundesligacoachs. Ist Christian Streich der außergewöhnlichste Trainer, den Sie hatten? Oh, ich hatte schon so viele Trainer. Unter anderem Giovanni Trapattoni. Was soll ich sagen –war der etwa nicht außergewöhnlich?

Doch, aber er ist nach Heimspielen nicht mit dem Fahrrad nach Hause gefahren, wie es Christian Streich macht. Ach das. Das ist jetzt auch nichts Außergewöhnliches. Hier in Freiburg wohnen auch viele Spieler nahe am Stadion, manche laufen sogar nach Hause, und wenn es wieder wärmer ist, fahre ich auch mit dem Fahrrad.

Aber der Trainer kann sehr emotional sein. Ja, das kann er, vor allem in der Kabine vor dem Spiel. Aber in der täglichen Trainingsarbeit ist er für mich ein ganz normaler Trainer, der Dinge sachlich anspricht. Er ist ein ehrlicher Typ, der sagt, was er denkt – und damit vielleicht doch ein bisschen anders als andere, die versuchen, eine Rolle zu spielen.

Beim SC wird immer betont, ein Abstieg bedeute keine Katastrophe. Fehlt da nicht die letzte Konsequenz im Kampf um den Klassenverbleib? Das sehe ich nicht so, denn für die meisten Spieler ist es doch zunächst einmal eine einmalige Chance, in der Bundesliga zu spielen. Was natürlich stimmt: Freiburg ist ein spezieller Fall, man weiß hier genau, welche bescheidenen Mittel man im Gegensatz zur Konkurrenz zur Verfügung hat.

Zuletzt haben die Mittel für ein 0:0 gegen den FC Bayern gereicht. Und wir haben uns sogar noch geärgert, dass es nur ein Punkt geworden ist. Fakt ist aber auch: Wir habe nerst einen Punkt mehr geholt als in der Vorrunde zu diesem Zeitpunkt.

Jetzt geht es zum VfB. Ein paar Eckbälle – und schon haben Sie gewonnen. Ich sehe diese Schwäche bei Standards nicht als Vorteil für uns. Denn der VfB wird extrem darauf bedacht sein, dass diese Fehler nicht mehr vorkommen.

Sie haben zu Saisonbeginn beim VfB mittrainiert. Sind Sie überrascht, dass sich die Roten nicht weiter oben halten konnten? Ein bisschen überrascht bin ich schon, dass sie mit dieser Qualität im Niemandsland der Tabelle stehen. Aber wir dürfen uns nicht täuschen lassen. Der VfB ist unberechenbar. Und wir dürfen jetzt keine Punkte mehr liegenlassen.  

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